Kinderarbeit nein danke, aber Selbstwirksamkeit ja bitte!

Laut Artikel 3 des Bundesverfassungsgesetzes für Kinderrechte aus dem Jahre 2011 ist Kinderarbeit verboten, solange das Kind noch schulpflichtig ist. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) unterscheidet zwischen „child labor“, die tatsächliche Arbeit im wirtschaftlichen Sinne bezeichnet und „child work“, die durchaus auch einen Lerneffekt beinhaltet, wie etwa Mithilfe im Haushalt[1]. Kinderarbeit ist in Österreich bereits seit 1842 verboten (unter 12-Jährige durften nicht mehr in Fabriken arbeiten) und erst ca. 100 Jahre später regelte das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz den Arbeitsschutz von unter 14-Jährigen[2].
Beobachte ich so manche Eltern, insbesonders Mütter, habe ich den Eindruck, dass Kinder heute aber auch von vielen Pflichten enthoben sind und sich so gar nicht in den häuslichen Alltag einbringen dürfen und somit auch nicht wollen. Wir kennen Jugendliche, die noch nie selbst gekocht haben, nicht wissen, wie die Waschmaschine und der Staubsauger funktionieren oder keinen Überblick über ihre Finanzen haben. Als junge Erwachsene wird allerdings von ihnen erwartet, dass sie auf eigenen Beinen stehen. Wie schaffen wir als Eltern den Spagat, Kinder in die Selbstständigkeit zu begleiten, sie weder zu überbehüten, noch sie zu überfordern?

Mein Sohn ist 8, als er vor ein paar Tagen von der Schule nach Hause kam, war ich gerade dabei, ein selbstgedrehtes Video fertig zu stellen, allein mir fehlte noch ein Foto, das ich aus dem Clip schneiden wollte. Leider hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie das ging. Als ich meinem Kind auf seine Frage, was ich da mache, erklärte, was ich vorhatte, meinte er nur: „Mama ich zeig´s Dir!“ und nach wenigen Handgriffen hatte er mir ein Foto ins Netz gestellt und mir auch gleich den falschen Link korrigiert. Ist er ein Genie? Nein, nur ein Digital Native, der schon früh gelernt hat, mit den modernen Medien umzugehen und nun hatte er gelernt, dass man dieses Wissen nicht nur privat, sondern auch beruflich einsetzen kann. Ist das jetzt Kinderarbeit, wenn ich meinen Sohn beim Drehen und Schneiden meiner Videos einsetze? Oder macht es ihm nicht eher einen Riesenspaß, sich am Computer, mit dem er ohnehin gerne spielt, zu betätigen, Neues dazuzulernen und zu zeigen, dass sein Wissen größer ist, als das seiner Mama?

Ein anderes Beispiel: Zum Wochenende habe ich ein undefinierbares Geräusch aus dem Badezimmer, in dem mein Sohn gerade Experimente machte, vernommen. „Mama, Du brauchst nicht zu kommen!“ Aus dem Augenwinkel sah ich ihn in die Küche flitzen und den Handstaubsauger holen. Als dieser scheinbar nicht den gewünschten Erfolg zeigte, stand ein etwas zerknirschtes Kind in der Tür und sagte: „Mama, mir ist was passiert!“ Wir haben uns ausgemacht, dass es am besten ist, mir die Wahrheit zu sagen, als etwas zu verschweigen, auf das ich ohnehin später draufkomme und dann umso verärgerter bin. Im Badzimmer waren 2 Fläschchen zerbrochen, eines mit Flüssigkeit das 2. mit kleinen Kügelchen, die überall am Boden zerstreut waren. „Ich wollte nur den Fieberthermometer aus dem Kasten holen, dann sind mir die Flaschen runtergefallen. Ich habe mir aber gleich Schuhe angezogen, damit ich mich nicht schneide und das meiste habe ich schon weggesaugt!“ In so einem Fall, bin ich sehr stolz auf mein Kind und sah über den entstandenen Schaden geflissentlich hinweg und wir räumten den Rest gemeinsam auf.

Doch wie werden Kinder selbstwirksam, wie lernen sie, schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen[3]? Kinder lernen durch Beobachtung und dadurch, dass sie ausprobieren dürfen. Sie lernen durch Spielen und wie ihr Umfeld reagiert. Vor allem aber lernen Kinder lieber von anderen Kindern, wie das früher viel häufiger der Fall war, weil sie unbeaufsichtigt von Erwachsenen sich im Freien aufhalten durften. Die Älteren haben es den Jüngeren vorgezeigt, wie etwas gebaut wurde, was erlaubt war und was nicht und wobei man sich nicht erwischen lassen durfte. Heute stehen Kinder oft zu 100 % unter Aufsicht von Erwachsenen. Sogenannte Helikopter-Eltern überprüfen jeden Schritt ihres Sprösslings, erahnen eine noch so geringe Gefahr in jedem Tun, dafür fördern sie ihre Töchter oder Söhne gutgemeint täglich mit Sport- und Freizeitaktivitäten. Das Ergebnis sind immer unselbstständigere Kinder und Jugendliche, die sich ohne die Rückversicherung der Eltern nicht mehr trauen, Entscheidungen zu treffen. Sie entwickeln kein gesundes Selbstbewusstsein, neigen später zu aggressivem Verhalten und können sich zu Außenseitern entwickeln[4]. Diese Kinder haben auch nicht gelernt, mit Herausforderungen umzugehen. Ihre Eltern haben versucht, ihnen möglichst alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen[5], sie wurden nicht mit Enttäuschungen konfrontiert, mussten keine Verluste hinnehmen. Doch was sie auch nicht gelernt haben, wie es ist selbstwirksam zu sein. Nach Boglarka Hadinger ist Selbstwirksamkeit einer von 5 Resilienzfaktoren[6]. Neben guten Beziehungen, Zielen, Vitalität und wie wir uns selbst bewerten, ist es sehr wichtig, um auch die Herausforderungen des Lebens gut bewältigen zu können, zu erfahren, dass man etwas kann, dass man etwas gut gemacht hat. Dazu ist es unumgänglich, dass Kinder Erfahrungen sammeln dürfen, in einem geschützten Bereich, ihrem Alter entsprechend. Sie lernen, mit Frustration umzugehen, wenn etwas nicht sofort gelingt, wie sie mit einem Verlust eines geliebten Menschen oder Tieres umgehen, dass schulische Misserfolge Konsequenzen haben.
Ich erlebe in meiner Praxis, dass schon junge Erwachsene am Rande des Burn Outs stehen. Aufgaben des Alltags, wie eine regelmäßige Arbeit, finanzielle Eigenständigkeit oder die Trennung von einem Partner stellen oft enorme Hürden dar, die viele nicht wissen, wie sie zu bewältigen sind.

Wir haben zum Glück durch Gesetze ein System geschaffen, in dem Kinderarbeit nicht mehr erlaubt ist – wie es in vielen Ländern der 3. Welt auch heute noch üblich ist. Kinder haben eine Stimme und auf ihre Rechte wird geachtet, insbesonders die Kinder- und Jugendanwaltschaften stehen ihnen unterstützend zur Seite (vor allem auch, dass ihre Unterhalte ohne zusätzliche Arbeit und Einsatz ihrerseits gesichert werden). Doch das Pendel darf nicht in die andere Richtung ausschlagen, dass Kindern und Jugendlichen gar nichts mehr zugetraut wird, sie auch von altersgerechten Pflichten enthoben sind. Denn wir wünschen uns junge Erwachsene, die gelernt haben selbständig Entscheidungen zu treffen, kritisch zu denken und die den Aufgaben der Zukunft gewachsen sind.
Ich weiß, es stellt für Eltern oft eine Herausforderung dar, ihre Kinder loszulassen, sie wollen sie beschützen und das Beste für sie. Es ist nicht leicht, nur der sichere Hafen zu sein, wohin das Kind im Notfall zurückkommen kann, aber für unsere Kinder bedeutet es die Welt, danach gestärkt, es nochmal zu versuchen und es alleine zu schaffen. Es ist unsere Aufgabe als Eltern unsere Töchter und Söhne dabei zu unterstützen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, um selbst-wirksam zu sein.

Quellen:
[1]: de.wikipedia.org/wiki/Kinderarbeit
[2]: www.wien.gv.at/wiki/index.php/Kinderarbeit
[3]: https://www.psychomeda.de/lexikon/selbstwirksamkeit.html
[4]:http://www.mamiweb.de/familie/helikopter-eltern-wenn-ueberbehuetung-die-kinderseele-krank-macht/1
[5]: http://helikopter-eltern.de/
[6]:
https://www.eltern-bildung.at/expert-inn-enstimmen/mut-selbstwertgefuehl-und-resilienz-brauchen-kraft-was-sind-ihre-wichtigsten-kraftquellen/