Kinder haben das Recht auf (freies) Spiel

Das Recht auf Spiel leitet das Recht auf freie Zeit und freien Raum ab, um auch tatsächlich frei spielen zu können. Nur in einem kinderfreundlichen Umfeld können sich Kinder spielerisch entwickeln.

Um die Bedeutung des Spielens für den Menschen hervorzustreichen, meinte Schiller einst: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Egal wie weit man in der Menschheitsgeschichte zurückblickt und egal wohin man auf der Welt blickt: das Bedürfnis zu spielen ist ein zutiefst Menschliches. Wir spielten schon vor tausenden von Jahren und spielen nach wie vor. Die Spiele mögen sich vielleicht geändert haben, doch das Bedürfnis blieb. Auf Kinder trifft das in besonderem Maße zu, denn für sie ist die Bedeutung des Spiels ähnlich wichtig wie stabile und entwicklungsfördernde Beziehungen zu ihren Bezugspersonen. Kleine Kinder erobern sich die Welt spielerisch – ja, sie erspielen sich die Welt. Sie lernen sich selbst und andere durch spielerische Erfahrung kennen, „begreifen“ ihre Umgebung und Umwelt indem sie sie tatsächlich mit allen Sinnen begreifen. Sie tasten sich an etwas heran, sie lernen sich in andere hinein zu fühlen, sie erkennen, ob sie etwas oder jemanden riechen können, sie lernen Situationen kennen, die ihnen womöglich nicht schmecken und sie hören im Spiel sprichwörtlich das Gras wachsen.

Dass das Spielen ein zutiefst menschliches Bedürfnis ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Quantität theoretischer Abhandlungen diverser Disziplinen. Das Spiel beschäftigt die Soziologie ebenso wie die Anthropologie, die Geschichte, aber auch die Philosophie, die Psychologie, die Pädagogik oder die Medizin. Daher ist es mehr als begründet, dass das kindliche Recht auf Spiel im Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention fest verankert ist. Schließlich lernen Kinder im Spiel sich selbst kennen und es dient ihnen bei der Bildung der eigenen Identität, sie kommen in Kontakt mit ihren eigenen Grenzen und lernen sich dadurch besser einzuschätzen, sie treten in Kontakt mit anderen Kindern und machen essenziellen Gruppenerfahrungen, drücken ihre Gefühle im Spiel aus, nehmen Bedürfnisse anderer wahr, lernen sich durchzusetzen und erleben im Spiel, wie sie ihre Umgebung gestalten und beeinflussen können. Sie dürfen im Spiel Erfolge verbuchen und scheitern üben, lernen durch Wiederholung, Erfolg und Misserfolg, sie experimentieren, ahmen andere im Spiel nach und machen die wertvolle Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Das Kind erlebt sich in Zeit und Raum. Und wer Kinder beim Spielen beobachtet weiß, wie sehr sie ins Spiel eintauchen können. Die wertvollsten Erfahrungen machen sie dann, wenn sie sich beim Spiel ungezwungen in Zeit und Raum verlieren.

Sich in Zeit und Raum verlieren dürfen

Was wir als Erwachsene, als Wahrerinnen und Wahrer der Kinderrechte, aber nicht außer Acht lassen sollten, ist die schwindende Möglichkeit der Kinder, sich trotz allen Überflusses, in Zeit und Raum verlieren zu können. Denn was brauchen sie dazu? Zeit und Raum! Die Zeit und insbesondere die ‚Frei‘-Zeit wird auch für Kinder immer weniger. Sie gehen in die Schule, machen Hausübungen und lernen nachmittags, sie gehen in örtliche Vereine, lernen Instrumente, Sportarten, Fremdsprachen und bekommen Förder- und Forderkurse. Die sogenannten „Helikoptereltern“, die ihre Kinder aus Sorge allzeit unter Aufsicht haben, sind heute ein bereits medial bekanntes Phänomen. Jene Freizeit, in der sich Kinder verlieren können, in der sie also frei, unbeobachtet und unangeleitet spielen können, hat sich drastisch verringert. War es für mich noch selbstverständlich, als Kind in meinem Wohnumfeld alleine mit Freundinnen und Freunden herumstreifen zu dürfen, ist dieser „Luxus“ für heutige Kinder nicht mehr selbstverständlich. Sie sehen sich vermehrt mit „Verhäuslichung“ und „Verinselung“ ihrer Lebensräume konfrontiert. Konnten sich über weite Teile der Menschheit Kinder ihr Lebensumfeld mit zunehmendem Alter immer mehr erschließen indem sie es systematisch durchstreiften, finden heutige Kinder oftmals eine andere Realität vor, indem sie in verschiedenen verstreuten und voneinander getrennten Teilräumen leben. Sie fahren zur Schule, zu weit entfernten Freundinnen und Freunden, zur Musikschule oder zum Sportverein. Die Strecken dazwischen, zwischen diesen Kinderinseln, kennen sie oft kaum oder nur aus der Perspektive des fahrenden Autos.
Und dies führt auch zum zweiten Punkt: Kindern fehlt neben der Freizeit oft auch der passende,  Frei-Raum, in dem sie sich frei bewegen können. Die bauliche Verdichtung der Ortsgebiete und der in den letzten Jahren zugenommene Verkehr führten dazu, dass immer mehr Spiel- und Bewegungsräume verschwinden. Der Aktionsradius heutiger Kinder wird also deutlich eingeschränkt. Freiräume, in denen Kinder ihre Spiel- und Bewegungsbedürfnisse frei ausleben können, werden ihnen oft vorenthalten. Kinder und Jugendliche werden somit aus dem öffentlichen Raum zusehends verdrängt. Nachdem Kinder aber unbestreitbar Zeit und Raum zum Spielen brauchen, müssen wir Erwachsenen ihnen in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld jene Möglichkeiten schaffen bzw. zurückerobern, die ihnen ein freies Spiel ermöglichen. Ein Umfeld, in dem sie sich auf spielerische Art und Weise mit ihrer Umwelt auseinandersetzen und ihre physischen, psychischen und sozialen Fähigkeiten entwickeln dürfen. Denn: Spielen ist weit mehr als Zeitvertreib!

Spiel- und Bewegungsfreiräume, die sich an kindlichen Bedürfnissen orientieren

In einem idealen Spielumfeld können sich Kinder frei, ungestört und sicher bewegen. Eine Vielfalt an Möglichkeiten regt ihre Fantasie an und bietet Platz für die unterschiedlichsten Spielarten. Aus jahrelanger Erfahrung des Projektteams Spielplatzbüro der NÖ Familienland GmbH wissen wir, dass Kinder oft am besten wissen, was ein idealer Freiraum zu bieten hat. Ganz im Sinne der Kinderrechtskonvention werden Kinder nicht nur von Erwachsenen mitbedacht sobald wir an Freiräumen für sie arbeiten. Bei Projekten der NÖ Familienland GmbH werden die Kinder selbst aktiv in den Planungsprozess miteinbezogen. In sogenannten „Spielforscherwerkstätten“ erarbeiten die Kinder eigenständig, welche Elemente ihr neuer Spielplatz oder Schulfreiraum enthalten soll. Dabei zeigt sich immer wieder aufs Neue, dass sie sehr früh realistisch einschätzen können, welche Wünsche reale Chance auf Umsetzung haben. Nach einer ersten wild phantasierten Runde fallen mitunter Wünsche wie Ponys, Schwimmbecken mit Wasserrutschen oder Hochschaubahnen. In der zweiten Phase, in der sie dann auch Überlegungen anstellen zu Sicherheit, Barrierefreiheit oder Finanzierung, sind es die Kinder selbst, die aufs Schwimmbecken zugunsten der Kleinkinder verzichten und stromfressende Hochschaubahnen vom Spielplatz verbannen. Am Ende sind es oft die auf den ersten Blick banalen Wünsche, die auf ihren Hitlisten oberste Priorität eingeräumt bekommen. Sie möchten Platz zum Toben haben, sodass auch Ballspiele möglich sind, sie wollen sich mit Freundinnen und Freunden auch mal verstecken können, sie wünschen sich Herausforderungen zum Klettern und Vergnügen beim Schwingen, wie etwa in Form einer Schaukel. Und die Erfahrung zeigt uns ebenso, dass sich Kinder mit einem für sie gestalteten Freiraum deutlich besser identifizieren können und besser auf den öffentlichen Raum achtgeben, wenn sie in den Entstehungsprozess involviert waren. Insofern werden mit der NÖ Familienland GmbH nur Spielplätze und Schulfreiräume umgesetzt, in deren Entwicklung die Kinder eingebunden waren. Wie wichtig dieser Zugang ist, verdeutlicht auch die Entwicklung der Schule zum kindlichen Lebensraum. Denn wenn zunehmend mehr Kinder auch nachmittags in der Schule sind, brauchen sie ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen können. Das beinhaltet Rückzugsorte ebenso wie Bereiche, in denen sie sich angeregt bewegen können.
Ein für Kinder optimal gestalteter öffentlicher Raum bietet somit Anregungen für die unterschiedlichsten Spielbedürfnisse eines Kindes. Vielfältige Spielumwelten, etwa mit zusätzlichen Versteckmöglichkeiten durch Bepflanzung und Modellierung des Platzes, regen zu Rollenspielen an, Bewegungsspiele an hochwertigen Spielgeräten fördern die motorischen Grundfertigkeiten und bilden ein solides Körperempfinden, unterschiedliche Materialien wie Wasser, Sand, Kies, Gras, Blättern, Steinen und Co sowie die abwechslungsreiche Umwelt des Platzes ermöglichen Wahrnehmungs- und Sinnesspiele, ein Sandspielbereich etwa ermöglicht Konstruktionsspiele, kleine Kinder finden genügend Anregungen, ihre sensomotorischen Fähigkeiten durch laufende Wiederholungen zu trainieren und nebenbei erkunden Kinder mit und unter anderen Kindern soziale Regelspiele.
Aber selbst der schönste und am meisten kindgerechte Platz ist für ein Kind nur dann von tatsächlichem Wert, wenn es Mitspielerinnen und Mitspieler hat, mit denen es sich dort aufhalten darf. Wenn wir unseren Kindern die Zeit einräumen, auf kindgerechten Freiräumen, die in der unmittelbaren Umgebung des Kindes liegen, in Ruhe spielen und sich im Spiel verlieren zu dürfen, gestehen wir einem zutiefst kindlichen Bedürfnis sein Recht ein: das Recht auf freies Spiel. Schon Platon betonte, welch verbindende Funktion das Spielen aufweise, indem er meinte: „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen, als im Gespräch in einem Jahr.“ In diesem Sinne gilt es die Spielbedürfnisse unserer Kinder ernst zu nehmen und ihnen eine zum Spielen anregende Umgebung für eine gesunde spielerische Entwicklung zu schaffen bzw. ihre Spielfreiräume zurückzuerobern.