Kinderrechte ohne Grenzen – unsere Verantwortung in Europa

Globale Herausforderungen prägen unsere Zeit und damit auch die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen: Ob Kriege und gewaltsame Konflikte, Flüchtlingsströme, Wirtschaftskrisen oder Umweltkatastrophen. Die Berichte und Bilder darüber sind durch die Medien, insbesondere die sozialen Netzwerke, überall und jederzeit hautnah präsent und so Teil des Alltags junger Menschen. Manche von ihnen, die nun in Österreich leben, mussten selbst aus Kriegsgebieten fliehen.
Wir dürfen die Kinder und Jugendlichen nicht mit ihren Ängsten alleine lassen. Neben dem Recht auf kindgerechte Information und differenzierte Antworten auf ihre Fragen, gilt es vor allem unsere Verantwortung für ihre Zukunft in einem friedvollen und lebenswerten Europa wahrzunehmen. Auch wir österreichischen Kinder- und Jugendanwältinnen und -anwälte sind gefordert zu nachhaltigen globalen Lösungen beizutragen – regional, national und mit Blick auf internationale, im Besonderen auf europäische Entwicklungen. Geht es doch um die Förderung und den Schutz von 150 Millionen Kindern in Europa, denn Kinderrechte kennen keine Grenzen!

Kinderrechte sind eine Querschnittmaterie

Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen wurde von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ratifiziert. Die EU ist außerdem laut dem Vertrag über die Europäische Union verpflichtet, die Rechte des Kindes zu wahren. 2006 unterbreitete die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Strategie zum Schutz der Rechte des Kindes und nahm 2011 die „EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ an.
Laut der EU-Grundrechtscharta haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Ihre Meinung muss in Angelegenheiten, die sie betreffen, berücksichtigt werden und das Wohl des Kindes muss bei allen Maßnahmen im Vordergrund stehen. Weitere Artikel der Charta beziehen sich speziell auf den Schutz von Kindern, wie etwa der Artikel zum Verbot von Kinderarbeit.

Neben diesen Grundsatzdeklarationen räumen die EU-Institutionen den Rechten der Kinder einen zunehmend höheren Stellenwert ein. So ist für den Bereich der Europäischen Kommission seit November 2011 Margaret Tuite als „Koordinatorin für die Rechte des Kindes“ tätig. Sie und ihr Team sorgen für eine proaktive Abstimmung innerhalb der Kommission und auch mit externen Stakeholdern. Angesiedelt ist diese Stelle bei der für Grundrechte zuständigen Einheit in der Generaldirektion Justiz. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung der EU-Agenda für die Rechte des Kindes.

Der Europarat orientiert sich bei seiner Arbeit seit dem Start des Programms „Building a Europe for and with children“ im Jahr 2006 an Kinderrechte-Strategien. Die aktuelle Strategie für die Periode bis 2021 wurde im April 2016 in Sofia verabschiedet und konzentriert sich auf folgende fünf Bereiche:

  • Chancengleichheit für alle Kinder
  • Partizipation und Mitsprache
  • eine Kindheit ohne Gewalt
  • eine kinderfreundliche Justiz
  • Rechte des Kindes im digitalen Umfeld


Sowohl die Kommission, als auch der Europarat informieren auf eigenen Websites in englischer Sprache über Zuständigkeiten, Programme und Aktuelles sowie über die Möglichkeiten von EU-Förderungen, etwa für Projekte zum Kinderschutz.

Mehr:
http://ec.europa.eu/justice/fundamental-rights/rights-child/index_en.htm
http://ec.europa.eu/0-18/
http://www.coe.int/en/web/children/

Die Themen der europäischen Kinderrechte-Strategie decken sich mit den Tätigkeitsschwerpunkten der Kinder- und Jugendanwaltschaften (kijas) in Österreich. Wenn möglich und sinnvoll, werden von den kijas die Aktivitäten auf EU-Ebene unterstützt, wie etwa die aktuelle „No-Hate-Speech“ Kampagne des Europarates. Ebenso geben die kijas Stellungnahmen zu Vorschlägen der Europäischen Kommission ab, wie kürzlich zur Neufassung der Brüssel IIa Verordnung über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und über internationale Kindesentführung. Als besonders positiv wird die verpflichtende Anhörung des Kindes bei Entscheidungen über die elterliche Verantwortung und bei Rückkehrentscheidungen begrüßt.
Im Folgenden werden zwei Bereiche skizziert, die die kinderrechtliche Tätigkeit der kommenden Jahre stark prägen werden.

Eine kindgerechte Justiz

Die Entwicklung hin zu einer kindgerechten Justiz in Europa mit Hilfe der EU-Gesetzgebung ist ein sehr konkretes Vorhaben. Rund 2,5 Millionen Kinder sind EU-weit jedes Jahr als Opfer, Zeugen oder Partei an Gerichtsverfahren beteiligt. Dabei kann es um das Sorgerecht bei Scheidungsverfahren, um sexuellen Missbrauch oder um Jugendstrafsachen gehen.
Der Bericht „Child-friendly justice: Perspectives and experiences of children involved in judicial proceedings“1 der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) beruht auf Interviews mit 392 Kindern. Er zeigt die Hindernisse auf, denen Kinder gegenüberstehen, aber auch mögliche Lösungen und eine Reihe vielversprechender Praktiken, die es in einigen EU-Mitgliedstaaten bereits gibt.

EU-Migrationsagenda und Kinderschutz

Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Familie ihre Heimat verlassen mussten oder unterwegs von ihren Angehörigen getrennt wurden, sind besonderen Risiken ausgesetzt. Europol berichtete 2016, dass an die
10 000 unbegleitete Minderjährige in Europa verschwunden seien, da sich ihre Spur nach der Registrierung verliere. Die Frage, wie unbegleitete Kinder und Jugendliche bestmöglich betreut und effektiv vor Kinderhandel geschützt werden können, wird auf europäischer Ebene intensiv diskutiert. Im Oktober 2016 verabschiedete der Europarat eine Entschließung zur Harmonisierung des Schutzes von unbegleiteten Minderjährigen. Die Europäische Kommission hat im April 2017 betont, dass der Schutz von Kindern eine zentrale Priorität der europäischen Migrationsagenda ist und dass sie die Anstrengungen der Mitgliedstaaten durch Schulungen, Leitlinien, operative Unterstützung und Finanzmitteln ergänzen wird.
Die Organisation Missing Children Europe präsentierte 2016 die Studie „SUMMIT“2  mit Best-Practice-Modellen für die Zusammenarbeit von Behörden und Einrichtungen. Die deutsche Übersetzung dieses Handbuches erfolgte in Zusammenarbeit mit den Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs und wurde bei der Fachtagung „Lost in Migration“ im April 2017 in Linz vorgestellt.

Mehr:
www.missingchildreneurope.eu
www.kija.at

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften als weisungsfreie Menschenrechtsinstitutionen der österreichischen Bundesländer sind mehr denn je gefordert, sich für Kinderrechte ohne Grenzen einzusetzen. Nur durch ein starkes internationales Kinderrechte-Netzwerk kann den vielerorts im Aufwind befindlichen politischen Trends der autoritären Systeme und populistischen Haltungen, die mit den Ängsten der Menschen spielen, begegnet werden. Ein  kindgerechtes Europa darf keine Vision bleiben!

1 http://fra.europa.eu/en/press-release/2015/justice-needs-be-more-child-friendly-finds-fra
2 Safeguarding Unaccompanied Migrant Minors from going Missing by Identifying Best Practices and Training Actors on Interagency Cooperation